So äußerte sich Virginia Dignum, Professorin für verantwortungsvolle Künstliche Intelligenz und Leiterin des AI Policy Lab an der Universität Umeå, am 3. August 2025 in Dagens Nyheter. Sie meinte den schwedischen Ministerpräsidenten Ulf Kristersson, der zuvor über KI gesagt hatte: „Ich benutze sie ziemlich oft. Und sei es nur, um eine zweite Meinung einzuholen. Was haben andere getan? Und sollten wir das Gegenteil denken? Diese Art von Fragen.“
Die Reaktionen waren heftig, am schärfsten vielleicht der Vorwurf, Kristersson sei „den Oligarchen und ihrer KI-Psychose verfallen“ (Aftonbladet). So extrem die Kritik auch war, sie offenbart zugleich etwas Wesentliches: wie stark die öffentliche Debatte über KI von Ängsten, Projektionen und Unwissenheit geprägt ist. Und wie tief die kulturelle Verunsicherung sitzt, wenn Maschinen am Denken beteiligt sind – nicht heimlich, sondern sichtbar, bewusst, öffentlich.
Prompt Literacy bedeutet: Denken in Bewegung
Ulf Kristersson steht wegen seiner KI-Nutzung in der Kritik. (Vielleicht zu Recht in der politischen Sphäre, das kann und soll hier nicht betrachtet werden.) Doch warum lobt ihn niemand für seine Haltung, seine Absicht und seinen Umgang mit KI? Gerade das verdient Beachtung: ein Premierminister, der offen zugibt, KI zu nutzen. Um eine zweite Meinung einzuholen. Um zu prüfen, welche Lösungen andere gefunden haben. Und um zu sehen, welche Perspektiven entstehen, wenn man das Gegenteil eines Gedankens durchdenkt. Das ist keine Schwäche, erst recht keine Psychose. Das ist Dialektik im besten Sinne: Denken in Bewegung. Das ist: Prompt Literacy.
Welchen Sound wird das 21. Jahrhundert haben?
Was für Kristersson selbstverständlich ist, reicht weit über den pragmatischen Umgang mit neuer Technologie hinaus. Er steht für den Beginn eines Denkens und einer Haltung, die unser Verhältnis zur Künstlichen Intelligenz neu prägen können. Einer Haltung, die nicht auf Kontrolle abzielt, sondern auf Erkenntnis. Die sich von der Maschine nicht primär Effizienz verspricht, sondern Ko-Kreation. Die Sprache nicht als Befehl begreift, sondern als Instrumentarium, um die Mensch-Maschine-Symphonie des 21. Jahrhunderts zu orchestrieren. Dieser Sound, diese Haltung, dieses Denken und diese Praxis sind: Prompt Literacy.
Sprache als Schnittstelle – Prompt Literacy als Steuerungsimpuls
Die Beziehung zwischen Mensch und Maschine verändert sich nicht erst seit der Verbreitung Künstlicher Intelligenz. Schon die industrielle Revolution schuf eine neue Form der Interaktion: Der Mensch bediente nicht länger nur Werkzeuge, sondern wurde selbst Teil maschineller Prozesse. Mit generativer KI verschiebt sich die Interaktion erneut, und mit ihr die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine – weg von Hebeln, Knöpfen, Codes und Symbolen, hin zur Sprache. Sie wird zum Steuerungsimpuls und zum Machtfaktor. Das beeinflusst nicht nur das Interface und unser Verständnis von Sprache, sondern auch die Sprache selbst. Ihre Ursprünge reichen weit zurück: Vor rund zwei Millionen Jahren begannen frühe Menschen, Laute gezielt zu äußern – um zu warnen, zu koordinieren und soziale Bindungen zu festigen.
Der Wirkungsgrad von Sprache: hoch
Sprache war nie nur Werkzeug, nie bloß Mittel zum Zweck. Sie ist unser Bezug zur Welt, hilft uns beim Orientieren, Verbinden und Gestalten. Sprache ist Handlung und Spiegelung, ist Ordnung und Spiel. Sie formt, was wir wahrnehmen, wie wir es begreifen – und was wir für möglich halten. So schaffen wir einerseits Sinn, andererseits aber auch Ausschlüsse, Auslassungen und Verzerrungen. Wenn wir schweigen, verschweigen oder verformen – etwa durch Lügen –, verschieben wir die Ränder des Realen. Dabei üben wir Macht aus: nicht durch Zwang, sondern durch Bedeutung. Nicht laut und offen, sondern leise und strukturell.
Sprache ist entscheidend für die Beziehung zwischen Mensch und Maschine
Im Umgang mit generativer KI verändert sich die Rolle von Sprache. Sie wird gezielt verwendet, um Wirkung zu erzielen. Ein Prompt kann Prozesse auslösen, ein einziges Wort sie wieder stoppen. Die Maschine antwortet nicht, weil sie versteht, sondern weil sie statistischen Mustern folgt: regelbasiert, kontextsensibel und probabilistisch. Während klassische Schnittstellen auf binäre Logik und klare Befehle angewiesen waren, eröffnen Prompts in natürlicher Sprache neue Möglichkeiten für die Beziehung zwischen Mensch und Maschine. Sprache ist mehrdeutig, kontextabhängig und kulturell aufgeladen. Was gesagt wird, ist nie nur Information, sondern immer auch Form, Ton und Geste. In der Kommunikation mit generativer KI zählt daher nicht nur, was wir sagen, sondern wie wir es sagen. Der sprachliche Ausdruck wird zum Steuerungsimpuls – nicht allein durch Präzision, sondern durch Anschlussfähigkeit, Rhythmus und Gewichtung.
Prompt Literacy als Schlüssel, um Resonanzräume zu öffnen
Diese neue Konstellation rückt einen Begriff vom Rand ins Zentrum: Prompt Literacy. Die Fähigkeit, über Sprache mit KI-Systemen zu interagieren – nicht durch bloße Befehle, sondern in einem Zusammenspiel aus sprachlicher Kompetenz, medienkritischer Aufmerksamkeit und ethischem Feingefühl. Die Bedeutung von Prompt Literacy geht weit über technische Effizienz hinaus. Denn Sprache entfaltet sich hier in einem Resonanzraum, in dem Systeme auf Impulse reagieren – ohne Verständnis, aber mit Wirkung.
Der bewusste Dialog mit Systemen, die zu uns gehören
So entsteht ein Dialog, für den die Maschine kein Bewusstsein braucht – der Mensch dafür umso mehr. Kein Zwiegespräch im klassischen Sinn, sondern ein offener Prozess, der Bedeutung schafft. Prompt Literacy setzt genau hier an: Sie sieht die Interaktion nicht als Simulation von Verstehen, sondern als Einladung zur bewussten, kritischen und verantwortungsvollen Ko-Kreation. Im sprachlichen Austausch mit Systemen, die selbst keine Sprache besitzen, aber längst Teil unseres symbolischen Gefüges sind.
Prompt Literacy als Ausdruck einer neuen Sprach-Kultur-Technik
KI ist nicht einfach ein neues Tool, genauso wenig wie Prompt Literacy. Wer Künstliche Intelligenz nur als Werkzeug sieht, verkennt ihre soziokulturelle Bedeutung. Versteht man sie hingegen als Ausdruck eines tiefgreifenden kulturellen Wandels, wird Prompt Literacy zum sprachlichen Spiegel dieser Entwicklung sowie zum Ausdruck einer neuen Sprachkultur. Sie richtet ihre Fragen nicht nur an die Maschine, sondern auch an uns – nicht für höheren Output, sondern für tiefere Einsicht. Was genau erwarten wir von dieser Technologie? Wie nutzen wir Sprache, wenn Worte Handlungen auslösen, ohne dass ein Verstehen dahintersteht? Was bedeutet Verantwortung in einem Dialog, dessen Echo algorithmisch erzeugt wird? Und was ist real in einer Welt, die Bedeutung nicht mehr vorgibt, sondern durch Prompts erzeugt?
Die Welt ist (nicht) genug: Prompt Literacy als Vermessung des Möglichen
Prompt Literacy versucht, Antworten auf diese Fragen zu geben, indem sie vor dem Prompten ansetzt, beim Prompten wuchert und nach dem Prompt reflektiert. (Und diesen Prozess fortlaufend wiederholt.) Sie versteht Sprache nicht als Werkzeug, sondern als Modell der Welt. Als Vermessung des Möglichen. Als Geste des Handelns. Als Spur unserer Verantwortung. Jenseits von Buzzwords. Jenseits von Benchmarks. Jenseits von Best Practices. In einem Resonanzraum, der durch Maschinen verstärkt wird – und von Menschen mit Sinn gefüllt.